Rund viermal pro Minute kracht es
irgendwo auf Deutschlands Straßen. Über 20 Milliarden müssen die
Kfz-Haftpflichtversicherer jährlich auf den Tisch blättern, den größten Teil für
Reparaturen, Mietwagen, Sachverständige und natürlich auch Rechtsanwälte. Denn wo's um
viel Geld geht, wird immer viel gefeilscht und gestritten. In letzter Zeit mehr denn je. Bei den Versicherern ist der Wettbewerb
schärfer geworden, seit vor gut einem Jahr die Tarife freigegeben wurden.
Und so lassen Kfz-Haftpflichtversicherer kräftig die Muskeln
spielen:
- Mit einer eigenen Mietwagenfirma drücken sie auf die Preise
im Unfall-Ersatzwagen-Geschäft.
- Mit einer eigenen Sachverständigen-Firma rücken sie den
unabhängigen Sachverständigen auf den Leib.
- Geschädigte bleiben auf einem Teil ihrer Kosten sitzen, weil
Haftpflichtversicherer den Schaden nicht vollständig regulieren.
- Sonderabsprachen mit Kfz-Werkstätten sollen dazu führen, die
unabhängigen Sachverständigen aus der Schadenbegutachtung zu boxen.
- Mit dem Slogan "Aktive Schadenregulierung" versuchen
Versicherer in jüngster Zeit verstärkt und ganz gezielt, Anwälte, Sachverständige und
Mietwagenfirmen von Anfang an aus der Schadenregulierung rauszuhalten.
Allianz-Schadenexperte Dr.Küppersbusch: 'Die meisten Fälle
können ohne Einschaltung Dritter reguliert werden.'
Keine Rede davon, daß der Geschädigte ohne juristischen und
technischen Beistand oft erst hinterher merkt, daß er der Dumme war (siehe weiter unten).
Es gibt zwar in der Gutachter-Zunft tatsächlich schwarze Schafe. Sie schätzen dann etwa
als Gegenleistung für einen vermittelten Auftrag einen Unfallschaden zu hoch ein und
kassieren dann für die falsche Schätzung auch noch höhere Honorare. Außerdem kann sich
jeder Kfz-Mechaniker per Wochenendkurs blitzschnell zum Sachverständigen ausbilden
lassen.
Doch die Konsequenz der Haftpflichtversicherer trifft
keineswegs nur schwarze Schafe. Sie kürzen nämlich seit einiger Zeit mit
unterschiedlichsten Argumenten die Rechnungen von unabhängigen Sachverständigen.
Sie vergleichen die Grundhonorare der Unabhängigen, darunter
viele kleine Büros und Einzelkämpfer, mit den wesentlich billigeren DEKRA-Sätzen und
kürzen die Rechnungen des Sachverständigen einfach auf einen entsprechend niedrigeren
Betrag.
Dazu Rechtsanwalt Joachim Otting aus Grüneberg: 'Die DEKRA
ist eine große Firma, die natürlich billiger arbeiten kann, als ein kleines
Sachverständigenbüro.' Gerichte haben deshalb immer wieder entschieden, daß auf die
DEKRA-Sätze mind. 30% Aufschlag kommen dürfen, ohne daß die Rechnung als überteuert
gekürzt werden darf.
Inzwischen hat das Amtsgericht Gießen per einstweilige
Verfügung untersagt, bei Honorarkürzungen auf die DEKRA-Preisliste hinzuweisen.
Die Crux für die Geschädigten: Sie sind die Auftraggeber
der Gutachter; die Versicherung aus falsch verstandener Sparsamkeit die
Sachverständigenrechnungen nicht mehr vollständig bezahlt, bleiben sie zuletzt noch auf
den Restkosten sitzen.
Dazu ADAC-Rechtsanwältin Roswitha Mikulla-Liegert: 'Obwohl
die Versicherer mit ihrer neuen Taktik vor Gericht meistens nicht durchkommen, lassen sie
es immer wieder auf einen Prozeß ankommen.'
Die Rechtslage ist eindeutig: Ein Geschädigter darf nach
einem unverschuldeten Autounfall von der gegnerischen Haftpflichtversicherung die
Erstattung aller Kosten verlangen, die zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes
des beschädigten Fahrzeuges nötig sind. Er hat das Recht, den Schaden von einem
unabhängigen Sachverständigen seiner Wahl feststellen zu lassen.
Dazu gehören nicht nur die Reparaturkosten, sondern vor
allem auch eine Wertminderung des Unfallwagens, regional- und fabrikatsbedingter Aufschlag
auf die Ersatzteilpreise, und wenn nötig, die von der Werkstatt verrechneten
Verbringungskosten zur Lackiererei.
Diese Posten sind in einem Schadengutachten eines
unabhängigen Sachverständigen enthalten. Im Gutachten von
Versicherungssachverständigen, oder Sachverständigen, die eng mit Versicherungen
zusammen arbeiten, tauchen sie dagegen meistens nicht auf.
Die Kfz-Haftpflichtversicherer wollen die gesamte
Schadenregulierung in ihre Hand bekommen. Nachdem die Mietwagenbranche in die Zange
genommen wurde, sind jetzt die Sachverständigen dran.
Es ist jedoch an der Zeit, daß sich die Versicherer wieder
mehr um ihr eigentliches Geschäft, nämlich berechtigte Schäden zu ersetzen, kümmern.
Und auch, wenn es ihnen nicht schmeckt: Aus gutem Grund
gehören die Kosten für Rechtsanwalt und unabhängigen Sachverständigen nun mal dazu.
ÜBERS OHR GEHAUEN
Stefan W.Hamlock ist um seine Zukunft nicht Bange. 'Solange
es Haftpflichtversicherungen gibt, wird man uns auch brauchen, meint er ganz
zuversichtlich. .Er ist ein alter Hase in diesem Geschäft und als öffentlich bestellter
und vereidigter Sachverständiger in München auch bei Gerichten gefragt.
Und was hält Hamlock von der Idee, nach einem Unfall ohne
eigenen Anwalt und ohne unabhängigen Sachverständigen direkt über einen Schaden zu
verhandeln? Da lächelt er. Und legt einfach ein paar Beispiele auf den Tisch:
Ein Geschädigter will seinen Unfallschaden von rund 7200
Mark fiktiv abrechnen. Er reicht das Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen bei
der Versicherung ein und erhält einen Brief zurück, indem ihn zur Beschleunigung der
Regulierung ein Pauschalbetrag von 6000 Mark angeboten wird. Keine Erklärung, keine
Begründung außer: Wenn der Schaden tatsächlich repariert wird, will die Versicherung
auch die Mehrkosten erstatten. Ein ziemlich plumper Versuch der Versicherung, 1200 Mark zu
sparen, auf den der eine oder andere Laie reinfallen kann. Natürlich steht dem
Geschädigten Ersatz für die volle Schadenssumme zu, auch bei fiktiver Abrechnung.
Eine Münchner Steuerberaterin will für ihre Mutter einen
simplen, eindeutigen Unfallschaden ohne Sachverständigen, ohne fremden Anwalt direkt mit
der KfzHaftpflichtversicherung des Unfallgegners regulieren. Ein Versicherungsgutachter
schätzt die Reparaturkosten und vergißt mal wieder die Wertminderung. Die Steuerfrau
fragt höflich nach, was das soll. Jetzt reagieren die Sachbearbeiter der Versicherung
pampig. Ende vom Lied: Es wird ein Anwalt eingeschaltet und ein unabhängiger
Sachverständiger beauftragt. Und dann klappte die Sache, die Wertminderung wurde
erstattet.
Würden Sie sich zutrauen, einen Unfallschaden ohne freien
Sachverständigen mit der gegnerischen Versicherung zu regulieren? |