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Trickkiste: Versicherungen setzen Unfallopfer systematisch unter Druck

plusminus
plusminus - Schwerpunkt
03/99
     
3 Millionen mal pro Jahr kracht es auf Deutschlands Straßen.

Allein die Sachschäden gehen hierbei in die Milliarden. Durchschnittliche Reparaturkosten: 6.600 Mark pro Fahrzeug.

Die Haftpflichtversicherungen wollen das ändern. Dorn im Auge sind ihnen die freien Sachverständigen. Diese fertigen nach ihrer Auffassung häufig zu hohe Gutachten an, begünstigen den Geschädigten. Die Versicherer wollen - soweit wie möglich - dass ihre Haussachverständigen die Schäden begutachten.

Was sie auch schon seit Jahren wurmt, ist die so genannte "fiktive" Schadensabrechnung - die Abrechnung auf Gutachterbasis.

Der Bundesgerichtshof hat in den letzten 25 Jahren immer wieder geurteilt: Nur der Geschädigte entscheidet, ob er sein Fahrzeug reparieren lässt oder nicht. Er darf, wenn er will, nach Gutachten abrechnen und das Geld auch in die Tasche stecken.

In der Versicherungswirtschaft wird jedoch immer wieder versucht, die höchstrichterliche Rechtsprechung zu unterlaufen.

Die Versicherer sagen, bei der fiktiven Schadensabrechnung würde der Geschädigte einen unzulässigen Reibach machen. Und die freien Sachverständigen und die Anwälte seien das "Teufelswerkzeug" dazu.

Der normale Ablauf einer Schadensregulierung: Der Geschädigte bringt sein Fahrzeug in eine Werkstatt seiner Wahl. Dort lässt er sich einen Kostenvoranschlag oder ein Gutachten von einem freien Sachverständigen erstellen. Damit geht er in der Regel zu einem Anwalt. Der sagt ihm, welche weiteren Schadenspositionen er noch gegenüber der gegnerischen Versicherung geltend machen kann. Die wollen zukünftig das Gutachten dagegen direkt bei den Werkstätten anfordern. Zahlungen würden dann direkt an diese erfolgen. Das Ziel: Kosten sparen, aber auch freie Gutachter und Rechtsanwälte auszuschalten. "Schadenssteuerung" nennen sie das.

Rechtsanwalt Hans-Jürgen Gebhardt, Deutscher Anwaltverein

"Es geht der Versicherungswirtschaft allein darum, den Geschädigten weniger zu geben, als ihnen nach Recht und Gesetz zusteht. Und da kann man einfach nicht zuschauen als Vertreter der Opfer. Das geht noch weiter, es geht darum, dass beispielsweise Restwerte gedrückt werden, gegen die BGH-Rechtsprechung, es geht darum, dass Haftungseinwände gemacht werden, es geht darum, dass Altteile verwandt werden bei der Reparatur, es geht um viele Positionen, die den Geschädigten verborgen bleiben sollen."

Dies geschieht unter dem schamhaften Begriff "Schadensmanagement". Damit geht die Versicherungswirtschaft völlig neue Wege. Was darunter jedoch zu verstehen ist, steht in einem Papier, das [plusminus vorliegt:

"Steuerung des Geschädigten". Mit VW, Ford und auch Mercedes wurden deswegen bereits besondere Verträge abgeschlossen: Die Autofirmen halten ihre Vertragswerkstätten an, einen freien Sachverständigen nicht "aktiv" zu vermitteln. Der Dank der Versicherer: Diese Werkstätten werden besonders empfohlen. In einem Abkommen zwischen der Allianz und Ford hieß es bis vor wenigen Wochen, Wertminderung und Nutzungsausfall werden nur auf "Wunsch" gezahlt.

Dr. Gerhard Küppersbusch, Allianz-Versicherung

"Das war damals eine verunglückte Formulierung, die wir sehr schnell zurückgezogen haben; wenn ein Fahrzeug im Wert gemindert ist, zahlen wir dem Geschädigten eine Wertminderung, ohne Aufforderung, wir dürfen das allerdings nur mit dem Geschädigten besprechen, nicht mit der Werkstatt. Das war der Grund für die damalige Formulierung, die wir durch eine klarere ersetzt haben."

An der Denkweise hat sich jedoch nichts geändert, wie uns vorliegende Belege zeigen. Bei vielen Positionen versuchen die Haftpflichtversicherer zu drücken.

Frank Roeser, Rechtsanwalt

"Gerade in dem Bereich, in dem es um die Schadensersatzpositionen Nutzungsentschädigung oder Verdienstausfall geht oder auch merkantiler Minderwert, da möchte ich mal schätzen, dass 20 bis 30 Prozent mindestens der gesamten Schadensersatzansprüche auf der Strecke bleiben."

Das Oberlandesgericht Hamm hat dieser BMW-Niederlassung bereits verboten, Fahrzeugschäden direkt mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung abzurechnen. Jetzt beschäftigt sich der Bundesgerichtshof mit dem Fall. Dass Schadenskalkulationen der Versicherungen häufig daneben liegen, zeigen folgende Fälle. Trotz Widerstand der betroffenen Versicherungen sind sie schließlich doch nach dem Gutachten des freien Sachverständigen reguliert worden:

Betroffene

"Der war hier hinten kaputt, und da habe ich die Versicherung angerufen, die sagten, Sie brauchen auf gar keinen Fall einen Gutachter, wenn das unter 5.000 Mark ist: Natürlich habe ich einen Gutachter beauftragt, hab den Wagen in die Werkstatt gebracht; Als ich ihn abholte, lag da noch ein Gutachten vor von der Versicherung, das dann natürlich viel günstiger war, als von dem freien Gutachter."

Betroffene:

"Die Mitarbeiter der Schadensabteilung der Nürnberger hat mir mitgeteilt, dass er den Schaden nicht sofort regulieren könnte, weil ich einen Anwalt mit der Wahrnehmung meiner Interessen beauftragt hatte, und insofern würde sich die Schadensregulierung um sechs bis acht Wochen, wenn nicht sogar noch länger, hinauszögern. Also ich wäre selbst schuld, hat er wortwörtlich gesagt; hätte ich keinen Anwalt in Anspruch genommen, so hätte er den Scheck in voller Höhe über diese 9.000 Mark sofort mir zugesandt."

Die Württembergische gar bietet ihren Mitarbeitern Prämien. Zehn Mark, wenn der Sachbearbeiter es schafft, dass kein freier Sachverständiger eingeschaltet wird. Zehn Mark auch, wenn ein Anwalt außen vor bleibt und die Versicherung mit der Werkstatt den Schaden direkt regeln kann.

Ein Vertreter der Versicherungswirtschaft freimütig dazu:

Rechtsanwalt Dr. Werner Dornwald, Mitglied Schadenskommission GdV

"So, wie es - ich sag mal - angelegt ist, hat das schon einen gewissen Geruch, dass es in eine Richtung geht, die mit Schadensmanagement im Grunde nichts zu tun hat, wie wir es verstehen....Von daher ist, ich sage mal, die Werkstattregelung, wenn sie denn nun komplett durch die Werkstatt so erfolgt, sicherlich rechtlich angreifbar."

Trotz solcher Einsichten hat der Verkehrsgerichtstag in Goslar jüngst das "Schadensmanagement" strikt abgelehnt. Denn:

"Die Information durch die Versicherung ersetze nicht die anwaltliche Beratung."

Auch der ADAC, ansonsten Befürworter von Maßnahmen zur Kostensenkung, begehrt gegen derartige Schadenssteuerung auf.

Rechtsanwalt Dr. Eckehard Jung, ADAC

"Der ADAC beobachtet diese Maßnahmen, diese Aktivitäten der Versicherungswirtschaft mit sehr großer Skepsis. Wir fürchten, dass der Geschädigte letzten Endes auf der Strecke bleibt, und das darf nicht sein."

Nicht nur die Forderungen der Geschädigten könnten so auf der Strecke bleiben. Auch die Werkstätten, die sich auf solche Verträge einlassen, müssen bluten. Denn sie müssen den Versicherern hohe Rabatte bei Arbeitslöhnen und Ersatzteilen einräumen und auch Mietwagen zu besonderen Konditionen für die Versicherer stellen.

Detlef Fiedler, Zentralverband deutsches Kraftfahrzeughandwerk (ZdK)

"Wenn eine Werkstatt viel mit Versicherungen arbeitet und gibt dieser Versicherung entsprechende Rabatte, dann muss sie diese Rabatte im Grunde genommen bei dem Normalkunden wieder hereinholen. Das bedeutet, dass der Stundenverrechnungssatz für den Normalkunden erhöht wird. Denn irgendwie müssen diese Umsatzverluste wieder hereingeholt werden. ..."

Man spricht teilweise zwischen fünfzehn und fundundzwanzig Prozent.Und so ist es wie immer: Die Großen machen den Reibach, die Kleinen zahlen drauf. Die Versicherungen wollen sparen - koste es den Autofahrer, was es wolle.

Ansprechpartner:

Deutscher Anwaltverein (DAV)
-Arbeitsgemeinschaft der Verkehrsrechtsanwälte-
Udo Henke
Adenauerallee 106
53113 Bonn
Tel: 0228 / 2607-18
Fax: 0228 / 2607-51

ADAC Juristische Zentrale
Tel: 089 / 76 76 24 23

Autor: Jörg Lefèvre

Dieser Text gibt den Beitrag von PLUSMINUS vom 30. März 1999 wieder. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.

Saarländischer Rundfunk
PLUSMINUS
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E-Mail: plusminus@sr-online.de

Stand: 30.03.99 17:28

 

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