Bereits mehrfach in den vergangenen
Monaten war die Unfallschadenabwicklung durch Autohäuser Thema juristischer
Fachpublikationen (1). Aktualität bezieht das Thema daraus, daß nach den offenkundig
werdenden Wünschen der Kraftfahrtversicherer deutliche Strukturänderungen anstehen, die
anwaltliche Interessen erheblich berühren. Sie sind aber auch unter Gesichtspunkten des
Verbraucherschutzes (hier: Geschädigtenschutzes) diskussionswürdig. Die Diskussion hat
bereits in der automobilen Fachöffentlichkeit (2) ebenso begonnen, wie die
Allgemeinpresse Notiz von ihr genommen hat (3). Dabei beschränkt sich die Darstellung
allerdings bisher auf das gewünschte Konzept, nicht dagegen auf die Auswirkungen für
Geschädigte, Rechtsanwälte und nicht zuletzt die Kfz-Branche insgesamt. Worum geht es?
Der Gewinn in der KH-Sparte der Versicherungswirtschaft ist
in den vergangenen Jahren geschrumpft bis hin zu drohenden Verlusten (4). Es besteht
Einigkeit darin, daß die wesentliche Ursache im Kaskobereich und dort im Bereich der
Kfz-Diebstähle zu suchen ist. Hier sind bereits begrüßenswerte Gegenmaßnahmen
ergriffen worden. Insbesondere der Wegfall der Neuwertentschädigung im Falle der
Entwendung von bis zu zwei Jahre alten Fahrzeugen wird hier korrigierend wirken. Es ist
ein offenes Geheimnis, daß hierin für nicht ganz charakterfeste und über die
Verhältnisse lebende Versicherungsnehmer eine erhebliche Versuchung ausging, der
Entwendung nachzuhelfen.
Weil in der KH-Sparte jedoch Kaskoschäden und
Haftpflichtschäden gemeinsam veranlagt werden, standen auch Kürzungen auf der
Ausgabenseite im Haftpflichtbereich an. Die Auseinandersetzung um die Mietwagentarife im
Unfallersatzgeschäft waren das erste Zeichen einer erwachenden »Kampfeslust« in der
Assekuranz. Die darauf folgenden Versuche, die Honorare der unabhängigen
Sachverständigen zu kürzen (»Lemken-Tabelle«) lassen bei Licht betrachtet eine
darüber noch hinausgehende Qualität erkennen. Flankierende Äußerungen und Handlungen
aus einzelnen Gesellschaften zeigen in aller Deutlichkeit, daß es weniger um die Kürzung
der Honorare geht als darum, den freien Sachverständigen in Zukunft soweit wie möglich
aus der Unfallregulierung überhaupt herauszuhalten. Ein deutliches Signal sind die
Bemühungen, die Einstiegsgrenze für die »Zulässigkeit« eines freien
Sachverständigengutachtens stetig heraufzusetzen. Die von der Rechtsprechung bis heute
gehaltene Tausend-DM-Grenze soll fallen.
In den sogenannten »Verhaltensgrundsätzen«, die zwischen
DAV und HUK-Verband hinsichtlich der Regulierung von Unfallschäden bei gleichzeitiger
Prämierung schadenmindernden Verhaltens durch Anhebung der gezahlten
Rechtsanwaltsgebühren vereinbart wurden, war die Grenze seitens des HUK-Verbandes bereits
mit 3.000 DM vorgeschlagen. Im neuesten Text (5) wünscht die Versicherungsseite, daß die
Inanspruchnahme des Sachverständigen zwischen der Versicherung und dem Rechtsanwalt
abgestimmt werden soll. Der Rechtsanwalt riskiert bei dieser von manchen Versicherungen
gewünschten Auslegung bis an die Grenze des Parteiverrates Nachteile für seinen
Mandanten, insbesondere auf den Streitfeldern Restwert und merkantiler Minderwert. Bei
richtiger Auslegung kann die Klausel nur so verstanden werden, daß die Notwendigkeit der
Hinzuziehung eines Sachverständigen abgestimmt werden soll. Die Auswahl des Gutachtens
obliegt dann aber weiterhin dem Geschädigten. Darüber hinaus ist letztlich das
Mandanteninteresse ausschlaggebend.
Einzelne Versicherungen haben in Rundschreiben an eine
Vielzahl von Autohäusern mitgeteilt, daß bis zu einer Schadenhöhe von 7.500 DM kein
Gutachter beauftragt werden solle, wenn nicht der Verdacht auf das Vorliegen eines
Totalschadens naheliegt. Nach in den Sachverständigen-Organisationen genannten Zahlen
würde dies bedeuten, daß der Bedarf für mehr als die Hälfte der
Haftpflichtschadengutachten entfiele, setzte sich dieser Vorschlag durch. Daß die Branche
der Kfz-Sachverständigen dadurch bis in die Grundtiefen erschüttert würde, ist
offenkundig.
Dies steht in sehr engem Zusammenhang mit dem unübersehbaren
Bemühen in der Assekuranz, trotz klaren gesetzlichen Verbots im Rechtsberatungsgesetz
verstärkte Aktivitäten der Kfz-Werkstätten in der Unfallregulierung zu fördern. Die
gleiche Versicherungsgesellschaft, die mit der Schadeneinstiegsgrenze 7.500 DM
vorpreschte, lud flächendeckend Autohäuser zu Unfallregulierungsseminaren ein.
Gleichzeitig finden sich Ankündigungen (6) eines Systems von
»Werkstätten des Vertrauens« der Versicherungen, auf die in Zukunft der Bereich der
Unfallreparaturen konzentriert werden soll. Der Einstieg soll im Vollkaskobereich
gelingen: Veränderte Kaskobedingungen bringen dann ein Empfehlungsrecht des Versicherers
gegenüber dem Kasko-Kunden hinsichtlich der auszuwählenden Werkstatt. Der Kunde ist dann
nicht gezwungen, von dieser Empfehlung Gebrauch zu machen, verliert jedoch bei
Nichtbefolgung deutlich mehr Schadenfreiheitsrabatt als bei ihrer Befolgung. Bedenkt man,
daß der Schadenfreiheitsrabatt neben dem Alkohol das Hauptmotiv für Unfallfluchten ist,
zieht man also ins Kalkül, wie wichtig der Vielzahl der Autofahrer der Rabatt ist, bedarf
es keiner weiteren Überlegungen, daß dieses Empfehlungsrecht greifen wird. Die sich
daraus ergebende sehr gute Auslastung der auserwählten Betriebe führt dazu, daß auf den
einzelnen Schadenfall bezogen Kostensenkungen greifen könnten, was für sich genommen
wünschenswert wäre. Insbesondere könnte, da Leerläufe nicht überbrückt werden
müssen, der Stundenverrechnungssatz der Werkstatt gesenkt werden. Dies allerdings ist nur
aufgrund der mit der Empfehlung verbundenen massiven Eingriffe in den freien Wettbewerb
machbar, so daß dem Konzept unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten erhebliche Bedenken
begegnen.
Darüber hinaus ist nicht viel Prophetie erforderlich (im
Gegenteil reicht ein Blick in die Carpartner-Gegenwart) (7), um auch an eine künstliche
Reduzierung der Stundenverrechnungssätze durch versteckte Subventionen zu denken. Auf
diese Weise - schließlich ist es gleichgültig, wohin das Geld gebucht wird, es kommt ja
aus dem gleichen Topf - werden dann Reparaturrechnungen produziert, die für den nächsten
Schritt gebraucht werden: Eines Tages wird ein Geschädigter in einer Haftpflichtsache mit
dem Vorwurf konfrontiert werden, er habe mit seiner Fachwerkstatt eine zu teure Werkstatt
ausgesucht. Die Stundenverrechnungssätze der Markenwerkstätten, insbesondere der der
»gehobenen Marken«, könnten nun nicht mehr akzeptiert werden, da es (analog Carpartner)
einen Anbieter, nämlich die versicherungsnahe oder versicherungseigene Werkstatt gebe,
der zu den einzig noch akzeptierten Stundentarife abrechne. Zugegeben: Dieses Szenario
scheint heute noch nicht sehr lebensnah, es deckt sich aber vollständig mit den
Carpartner-Erfahrungen.
Zwar spielen im hier angeschnittenen Bereich eine Reihe
äußerer Faktoren eine Rolle. Insbesondere ist es zum Garantieerhalt nach den bisher
üblichen Garantiebedingungen der Fahrzeughersteller erforderlich, jedenfalls Neuwagen in
Markenvertragswerkstätten zu warten und zu reparieren. Auch Leasinggesellschaften pflegen
zur Zeit vielfach die Markenbindung vorzuschreiben.
Diese Faktoren haben sicherlich Einfluß auf die Beurteilung
der Rechtmäßigkeit des geschilderten Szenarios.
Allerdings zeigt der Blick in die jüngere Vergangenheit,
daß Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit oftmals nicht die entscheidenden Kriterien
sind. Allein die durch die Vorwürfe, gegen die Schadenminderungspflicht verstoßen zu
haben, gestiftete Unruhe im Verein mit dem Liquiditätsentzug bei den Kfz-Betrieben durch
Verweigerung vollständiger Abrechnungen wird den Boden normativen Bereich des Faktischen
bereiten.
Es ist die Rede davon, bundesweit 240 Werkstätten mit dem
Prädikat »Werkstatt des Vertrauens« zu versehen und mit Unfallschäden zu füllen (8).
So läßt sich leicht ermessen, daß nicht jede Werkstatt, die jetzt willig mit
Versicherungen kooperiert und unter Mißachtung des Rechtsberatungsgesetzes Unfälle
direkt reguliert, später die Ernte in Form des Versicherungsordens einfahren kann. Und
eins scheint auch klar zu sein: Bei weiter steigenden Inspektionsintervallen und weiter
anwachsender Zuverlässigkeit der Fahrzeugtechnik wird sich die Werkstattsparte eines
Autohauses neben dem Handel nur rechnen, wenn weiterhin »Blech gemacht« wird. Die
Konzentration der Unfallreparaturen auf eine kleine Anzahl von Karosseriebetrieben wird
neben der angestrebten Reduzierung der Stundenverrechnungssätze in einen nicht mehr
kostendeckenden Bereich zu einem Massensterben in der Kfz-Branche führen.
Im Vorfeld ist schon das Bemühen um die Direktregulierung
ein Schritt in die Richtung, die Unfallregulierung ohne jede neutrale Kontrolle durch
Sachverständige und gegebenenfalls Rechtsanwälte zu betreiben.
Für das Autohaus ist die Sache natürlich verführerisch:
Ein versicherungseigener Gutachter mit Außenregulierungsbefugnis kommt, schaut sich das
beschädigte Fahrzeug an und läßt, sofern die Haftung als geklärt erscheint, einen
Scheck in der Werkstatt, bevor nur eine Schraube berührt wurde. Echte Gutachten werden
dabei nicht mehr erstellt, eine spätere Rechnungskontrolle erfolgt recht großzügig,
denn schließlich hat die Versicherungsgesellschaft die Kosten für den unabhängigen
Sachverständigen und die für den regulierenden Anwalt gespart. Darüber hinaus fällt
nicht selten die merkantile Wertminderung ganz unter den Tisch. Die Schadenpauschale wird
selten unaufgefordert ausgezahlt und beim Schmerzensgeld gibt es auch erhebliche
Unterschiede zwischen anwaltlich betreuten und nicht betreuten Unfallsachen. Die
Gesamtersparnis zu Lasten des Geschädigten ist mithin so groß, daß ein maßvolles
Überschreiten des von der Versicherung erwarteten Reparaturkostenbetrags dagegen kaum ins
Gewicht fällt.
Zeitgleich macht das Autohaus möglicherweise die Erfahrung,
daß einem unabhängigen Sachverständigen seitens der Versicherung die Rechnung gekürzt,
aber dennoch vollständig bezahlt wird. Der angeblich überzahlte Betrag wird dann bei der
Werkstattrechnung in Abzug gebracht mit der Bemerkung, daß mache doch sicherlich nichts,
schließlich habe die Werkstatt den Sachverständigen ins Spiel gebracht. Diese Strategie
ist aus der Mietwagenkostenregulierung hinreichend bekannt.
Es bedarf schon einigen Weitblicks, um hier nicht der
Verführung zu erliegen. Zu widerstehen liegt nicht nur im Interesse des Geschädigten,
also des Kunden, sondern auch im langfristigen Interesse der Werkstatt.
Gelingt es der Assekuranz nämlich, jegliche neutrale
Kontrolle über das Regulierungsverhalten auf Dauer zu dämpfen, dann kann der Spieß zu
gegebener Zeit umgedreht werden:
Plötzlich werden dann Werkstattrechnungen wieder ernsthaft
geprüft. Mit vielleicht überhöhten Abzügen holt man sich das Geld zurück, was man in
den Jahren vorher zur »Pflege der Landschaft« gelegentlich überzahlt hat. Wenn dann in
der Werkstatt der Ruf nach einem neutralen Sachverständigen zur Kontrolle des
Versicherungsverhaltens laut wird, kann es sein, daß unabhängige Sachverständige wegen
massenweiser Berufsaufgabe Mangelware geworden sind.
Es ist also wichtig, zu erkennen und den Autohäusern zu
vermitteln, daß der zu intensive Flirt mit der Versicherung nur kurzfristige Vorteile
bringt und darüber hinaus für weite Bereiche der Kfz-Branche tödliche Risiken birgt.
Nachdruck aus dem Mitteilungsblatt der
Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltsverein.
Verfasser: Joachim Otting, Rechtsanwalt 35305 Grünberg
Veröffentlicht in:»Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik« 09/95
Verlag: INFORMATION Ambs GmbH Postfach 208 77968 Kippenheim
1) Buschbell AnwBl. 94, 109 ff; Rust MittBL ARGE VR 94, 66 ff; Chemnitz DAR 95, 8
ff, Prütting/Nerlich NVZ 95, 1 ff
2) »kfz-betrieb« 46/94, S. 12
3) »Forbes«
4) »Welt-Report« Heft 127/94, S. 42
5) z. B. Greißinger ZfS 94, 393 ff
6) »FOCUS« 7/95, S. 90/91
7) »Capital« 2/95, S. 20
8) »FOCUS« 7/95, S. 90/91 |